Stille aber reiche Beute am 08.06.2022

Wenn beim Jäger in der Nacht das Telefon klingelt und sich am anderen Ende die Leitstelle der Polizei meldet, ist der erste Gedanke – oje, nicht schon wieder. Wenn das Ganze dann aber so abläuft wie in diesem Fall, ist man froh, angerufen worden zu sein, egal zu welcher Uhrzeit.  Der Hinweis durch den Polizeibeamten, eine PKW-Fahrerin hat auf der Straße ein Rehkitz gefunden, lässt zunächst nichts Gutes vermuten. Vor Ort wurde dann aber schnell klar, hier hat jemand vorbildlich gehandelt.
Es war Frau C., die auf ihrem Weg zur Arbeit  ein auf der Straße liegendes Kitz gesehen hat und rechtzeitig abbremsen konnte. Sofort die Warnblinkanlage einschalten, die 110 wählen und das Kitz auf keinen Fall anfassen waren ihre ersten Gedanken, wie sie mir sagte. Im Dämmerlicht sieht vielleicht nicht jeder Verkehrsteilnehmer das doch recht kleine „Hindernis“ auf der Straße.
Beim Betrachten des Kitzes wurde mir sofort klar, dem Kitz geht es gut und nur der angeborene Instinkt lässt es absolut regungslos verharren. Meine Vermutung war und ist, die Ricke wollte zusammen mit ihrem Kitz über die Straße wechseln, aber ein tiefer Graben und ein mit Brombeerranken durchwachsener Knick hatten verhindert, dass das Kitz folgen konnte. Wenn solches im Gelände geschieht, ist das kein Problem. Sieht man hier ein Kitz in dieser Position, zieht man sich möglichst schnell und unbemerkt zurück. Durch gegenseitige Kontaktlaute, dem sogenannten Fiepen, finden Ricke und Kitz recht schnell wieder zueinander. Solange aber Mama nicht ruft bleibt das Kitz liegen, komme was da wolle und wenn es auch auf der Straße ist.
In diesem Fall wurde von mir das Kitz, die Hände mit geruchslosen Handschuhen bestückt, durch das nächste Heckloch gebracht. Diese Behandlung gefiel dem Kitz allerdings nicht und lautes Fiepen brachte Mama auf den Plan, die im Abstand von ca. 50 m hin und her „tänzelte“. Nach dem Ablegen des Kitzes gab es kein Halten und Abducken mehr. Quicklebendig sprang es der Ricke entgegen und aus sicherer Entfernung konnte ich die Wiedervereinigung beobachten.

Da fiel mir mal wieder ein Spruch meines Vaters ein, der auch Jäger war:
Ein Tag der so beginnt wie heute, ist stille aber reiche Beute.